ArchitekTour

25 Baudenkmäler - Ein architektonischer Stadtbummel durch die Wiege Sachsens

Wir laden Sie herzlich ein zu einem architektonischen Stadtbummel durch die Wiege Sachsens.

Mittels häuserspezifischer QR Codes bieten sich faszinierende Einblicke in den Wiederaufbau Meißens als kulturhistorisches Kleinod - denn Meißen ist reich an wertvollen Zeugnissen deutscher Baukultur. Erfahren Sie dabei mehr über die Geschichte ausgewählter, kulturhistorisch besonders bedeutsamer Altstadthäuser, die durch das denkmalpflegerische Engagement von Bund & Land, aber auch privater Bauherren und Vereine in den letzten Jahren wieder zu neuem Leben erweckt werden konnten - oder noch immer darauf warten.

Görnische Gasse 35

Autor: Tom Lauerwald - Stadtarchivar & Stiftungsverwalter der Otto-und-Emma-Horn-Stiftung Meißen

Handwerkerhaus aus dem 15. Jahrhundert mit der bislang ältesten datierten Holzbalkendecke, bezogen auf den Profanbau der Meißner Bürgerstadt.
Nach langem Leerstand des Privathauses in den neunziger Jahren und Brandstiftung im Dachstuhl des leerstehenden Gebäudes im Jahre 2008, erfolgte eine Notsicherung des Daches in 2009. Nach mehrfachem Eigentumswechsel innerhalb der letzten sechs Jahre hat die Sanierung bzw. Rettung dieses bauhistorischen Kleinods nun dieser Tage endlich begonnen.

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Das inzwischen ruinöse Handwerkerhaus ist trotz der Substanzverluste in den letzten Jahren eine Inkunabel im Denkmalbestand der Meißner Altstadt. In dem Gebäude befindet sich die bislang älteste datierte Holzbalkendecke, bezogen auf den Profanbau der Meißner Bürgerstadt. Die Decke wurde 1435 im 1. Obergeschoss eingebaut (dendrochronologisch datiert), die Decke im Erdgeschoss stammt von 1464.

Die Görnische Gasse markiert die westliche Ausfallstraße aus der Bürgerstadt. Die Gesamtanlage der Meißner Altstadt repräsentiert bekanntlich ein Beispiel einer Stadtgründung nach dem ostdeutschen Kolonisationsschema, deren Anfänge um 1200 zu suchen sind. In der Regel gingen dabei vom Markt Ausfallstraßen in jede Himmelsrichtung. Meißen musste bei der Westtrasse, hier die Görnische Gasse, von diesem Schema abweichen, da der direkte Westausgang vom Markt durch den Afraberg versperrt wird. So wird der Weg gen Süden über die Fleischergasse genutzt, um auf halber Strecke in die Görnische Gasse Richtung Westen abzubiegen. Das Haus markiert selbst eine Zäsur in der Stadttopografie. Die nachfolgenden Grundstücke Görnische Gasse 34 bis 31 setzen mit ihren Häuserfluchten gegenüber der Görnischen Gasse 35 zurück. Die angerähnliche Erweiterung vom Grundstück geht nicht auf eine Korrektur der Häuserflucht im 19. Jh. zurück, obwohl diese Häuser in der Zeit alle neu errichtet wurden. Die platzähnliche Weitung der Gasse kann auf eine Etappe der Stadterweiterung Mitte des 15. Jahrhundert zurückzuführen sein, in dessen Kontext auch der Marstall im Bereich der Görnischen Gasse 9 errichtet wurde.

Das Handwerkerhaus Görnische Gasse 35 war bis ins 19. Jahrhundert ein giebelständiger vierachsiger Zweigeschosser. Bei dem Gebäude sind mehrere Bauetappen nachweisbar, so dass eine stilreine Zuordnung nicht möglich ist. Es war eine der Häuser, die den Schwedischen Brand 1637 schadlos überstanden und seitdem immer noch keinen Umbau entsprechend der "Willkühr"  (Bauordnung) von 1585 erfahren hatten. Bis auf den heutigen Tag liegt hier der Ehgraben zum Nachbargrundstück Görnische Gasse 34 frei. Das ist das letzte originär erhaltene Beispiel im der Meißner Altstadt! (überbaute Ehgräben sind einige noch nachweisbar) Über diese Gräben wurden die anfallenden Oberflächen- und Haushaltswässer zur Straße geleitet. Zwei Häuser nutzen immer ein Ehgraben. Die Küchen befanden sich in aller Regel auf der Grabenseite. Der Anschluss an die Kanalisation erfolgte in der Görnischen Gasse Anfang des 20. Jahrhundert

Die ältesten Bauteile des Hauses sind, wie bereits erwähnt, die mittelalterlichen Balkendecken im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss. Die westliche Giebelwand zur Görnischen Gasse 34, ist wie die massive Querwand zur Küche im Erdgeschoss - hier mit Renaissancetürgewände - im 16. Jahrhundert errichtet worden. Bei der Straßenfassade sind mehrere Bauetappen festzustellen. Der Wechsel von Fachwerk- zu Steinbau erfolgte wohl bereits im 16. Jahrhundert, denn im 1. Obergeschoss ist ein Renaissancekonsolstein sekundär vermauert. Die sekundäre Verbau des Konsolsteinsteins gehört wohl in die historistische Bauetappe in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert Die Fleischereinutzung, die mindestens seit der Familie Mußbach im Jahre 1842 bis in die 1950iger Jahre durch Fleischermeister Kurt Geisler praktiziert wurde, brachte zahlreiche bauliche Veränderungen. 1870 erfolgte eine Überformung des Erdgeschossbereiches und Erweiterung des Haustores, damit hier kleine Wagen einfahren konnten. Diese Phase ist an den Stichbögen der Fenster- und Türöffnungen im Ergeschoss erkennbar. In der Zeit erfolgte weiterhin die Aufstockung mit dem 2. Obergeschoss, die damit verbundene Ausbildung einer Traufe zur Straßenseite und auch die neue Erschließung (Treppe) wurde eingeordnet. 1886 folge der Hofgebäudeabriss und Neubau eines Hinterhauses als Schlachthaus.

Das Gebäude hatte als Privathaus zu DDR-Zeiten eine durchgängige Nutzung. Gleichwohl wurde der mindeste Bauunterhalt durch die Eigentümerfamilie Eckelt (Eigentümer seit 1962) realisiert. 1981 eröffnete im EG eine Annahmestelle für Fotoarbeiten. 1990 - 1993 betrieb hier Matthias Heigl den Laden „Sat-TV-Eck“. Frau Eckelt hatte seit dem Auszug der Kinder und dem Tod ihres Mannes Mitte der 1980-er Jahre das Haus bis 1999 allein bewohnt. Die bauhistorisch singuläre Stellung des Gebäudes für die Meißner Altstadt war bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend nicht erkannt. Die nachfolgende Leerstand war der Garant für den nun einsetzenden Niedergang. Das Interesse an derartigen (Spezial-)immobilien hielt sich in Grenzen. Ein Käufer fand sich bis 2009 nicht. Bereits am 22.03.2008 brannte nach einer Brandstiftung der Dachstuhl in dem leerstehenden Gebäude, die Schäden waren in der Gesamtheit erheblich. Die dringend notwendige Sicherung mit einem festen Notdach zogen sich bis 2009 hin. Das war mit weiterem Substanzverlust verbunden. Nach dem dritten Eigentumswechsel innerhalb von sechs Jahren hat die Sanierung - oder besser Rettung - des Hauses dieser Tage begonnen. Es ist mit Sicherheit die letzte Chance für das Denkmal. Den Bauherren hohe Achtung, Mut und Kraft für ein gutes Ende.

Was kann aus der Entwicklung seit 1999 gelernt werden? Trotz des ausgewiesenen Sanierungsgebietes "Historische Altstadt"  ist ein rapider Gebäudeverfall seit 1999 zu konstatieren. Leerstand bedeutet immer eine hochgradige Gefährdung. Bereits an der Stelle müssten praktische Instrumentarien im Rahmen der Städtebauförderung geschaffen werden, damit solche Häuser auch temporär genutzt werden können. Das Wächterhauskonzept kann dafür in Betracht gezogen werden. Des Weiteren ist eine vernünftige Kommunikationsebene mit den Eigentümer zu finden, um nach Notsituationen wie Brandschaden die Immobilie kurzfristig zu sichern. Dafür können auch Fördermittel eingesetzt werden. Durch diesen permanenten Prozess der Schadensbegrenzung wird der Förderaufwand im Rahmen einer Modernisierungvereinbarung reduziert. Es entstehen damit keine finanziellen Mehraufwendungen und auch die denkmalwerten Aussagen werden umfänglicher erhalten.